Stuttgarter Zeitung

SG BBM Bietigheim jubelt über Niederlage

Verrückte Welt in Bietigheim: der Handball-Zweitligist SG BBM Bietigheim hat am Samstagabend über das 23:29 (9:13) gegen den HC Erlangen gejubelt. Und wie! Der langjährige Vorsitzende Claus Stöckle sagte: „Das war die schönste Niederlage, die man sich vorstellen kann.“ Denn trotzdem war Bietigheim aufgestiegen, erstmals in der Vereingeschichte, weil zuvor schon der einzige Rivale Leipzig in Aue verloren hatte.    

Als dieses Ergebnis zur Halbzeit in der mit 1500 Zuschauern restlos ausverkauften Halle am Viadukt so nach und nach durchgedrungen war, kannte der Jubel schon keine Grenzen mehr. Und die Erleichterung auch nicht. „Das war schon eine große Hilfe“, gab Bietigheims Trainer Hartmut Mayerhoffer später zu, denn schon im ersten Durchgang wurde klar, dass seine Mannschaft Probleme hat, zumal Bietigheims Torjäger Robin Haller frühzeitig mit zwei Zeitstrafen belastet war und so ständig Angst vor einer Roten Karte haben musste. Die zweite Hälfte war dann ein Schaulaufen, nach dem auch der Sieger aus Erlangen und seine mitgereisten Fans jubelten: Denn durch den Erfolg stand die Mannschaft als dritter und letzter Aufsteiger ins Oberhaus fest, nachdem bereits vor einer Woche die TSG Friesenheim den Sprung nach oben geschafft hatte. Bietigheim ist damit übrigens – neben Göppingen – der einzige Verein, der sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen in der höchsten Spielklasse vertreten ist.      

Doch nicht nur deshalb fängt für Bietigheim jetzt die Arbeit erst richtig an. Zwei, drei weitere Verstärkungen sollen auf jeden Fall noch kommen, zudem muss die Hallenfrage geklärt werden, weil die jetzige Spielstätte nicht den Anforderungen der Bundesliga genügt. So steht ein Umzug in die Ludwigsburger MHP-Arena an, zudem sollen auch in der Bietigheimer Eishalle (Egetrans-Arena) Bundesligapartien ausgetragen werden.

Angekommen im Handball-Olymp

Ja spinnen die denn, die Bietigheimer? Der Handball-Zweitligist brauchte einen Punkt zum Aufstieg. Und dann: Samstagabend, Halle am Viadukt, die SG BBM liegt zur Pause 9:13 gegen Erlangen zurück – und das Publikum jubelt. Erst wenige und leise, dann sind plötzlich alle außer Rand und Band. Aus in Aue, dem Nebenkriegsschauplatz. Dort verlor der einzige Rivale aus Leipzig in einem um eine Stunde vorgezogenen Spiel. Man könnte von Wettbewerbsverzerrung sprechen.     Doch die nahm der Konkurrent gerne an. „Das Ergebnis war schon eine Hilfe“, gab der SG-Trainer Hartmut Mayerhoffer später zu. Kurz zuvor hatte der langjährige Vorsitzende Claus Stöckle zu den 1500 Fans gesagt: „Das war die schönste Niederlage, die man sich vorstellen kann.“ Verbunden mit dem Aufstieg in die Bundesliga, dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte.       Trainer Mayerhoffer ist der Vater des Erfolgs    Das Spiel Bietigheim hielt nur bis zum 5:5 (15.) mit, dann zog der HC Erlangen, bei dem in Sebastian Preiß auch ein Weltmeister von 2007 spielt, davon. Der Gast hatte klare Vorteile auf der Torhüterposition, wo Erlangens Jan Stochl (80 Länderspiele) seinen tschechischen Kollegen Jan Kulhanek ausstach. Erschwerend kam hinzu, dass Bietigheims Torjäger Robin Haller nach zwei Zeitstrafen in den ersten zehn Minuten stets am Rande der Roten Karte stand und nur noch dosiert eingesetzt werden konnte. Am 29:23-Sieg der Gäste gab’s jedenfalls nichts zu deuteln, und nach dem feierten auch die Franken – ebenfalls den Aufstieg. Was für ein verrückter Tag.    Der Trainer  Hartmut Mayerhoffer ist der Vater des Erfolgs, ohne Wenn und Aber. Nach der Absage des ursprünglichen Wunschkandidaten Thomas König (der jetzt mit Friesenheim ebenfalls aufstieg), hat Bietigheim nun seinen Handball-Kaiser. Der kam im Vorjahr vom Drittligisten Friedberg, der aus wirtschaftlichen Gründen auf den Aufstieg verzichtete. Der 48-Jährige hat die Mannschaft stabilisiert, selbst als vier Stammspieler ausfielen. Und Spieler wie Robin Haller wieder zu Spitzenleistungen animiert. „Er ist sehr akribisch und hört in die Mannschaft rein. Er ist genau der Typ, den wir gebraucht haben“, sagt der Spielmacher Timo Salzer. Kein Wunder, dass die SG den bis 2015 laufenden Vertrag vorzeitig verlängern möchte. Doch Mayerhoffer sagt: „Ehrlich, darüber konnte ich mir zuletzt keine Gedanken machen.“

Die Mannschaft Sie lebt nicht von der individuellen Klasse einzelner Spieler, auch wenn in Robin Haller oder dem Ex-Nationalspieler Salzer sicher herausragende Akteure vorhanden sind. „Wir leben vom Teamgeist“, sagt der Coach, „deshalb möchte ich auch, dass das Gros zusammenbleibt.“ Gegen Erlangen wurden lediglich zwei Mann verabschiedet: Thorsten Salzer und Tim Coors. In Julius Emrich (Kreis), Dominik Schmid (Rückraum) sowie dem Friedberger Jonathan Scholz (Linksaußen) stehen drei Neue fest, drei weitere sollen noch dazu kommen. Auf welcher Position? „Das hängt auch von der finanziellen Situation ab“, sagt Mayerhoffer, wobei bei den Torhütern sicher nachgebessert werden muss.

„Wir wollen versuchen, konkurrenzfähig zu ein“

Der Etat  Soll von jetzt einer Million auf im besten Fall 1,5 Millionen Euro erhöht werden, womit man immer noch am untersten Ende der Liga steht. In den vergangenen Jahren stiegen viele Aufsteiger postwendend wieder ab, und wenn man bedenkt, dass der HW Balingen aktuell mit einem 2,5-Millionen-Etat auf einem Abstiegsplatz steht, zeigt das die Schwere der Aufgabe. „Wir wollen zumindest versuchen, konkurrenzfähig zu sein“, betont Stöckle, fügt aber hinzu. „Wir müssen auch schon an die übernächste Saison denken.“ Soll wohl heißen: an einen möglichen Abstieg.

 Die Halle  Die altehrwürdige Halle am Viadukt mit ihren 1500 Plätzen hat einen ehrenvollen Abschied erlebt. Für die Bundesliga gibt es keine Genehmigung. Klar ist deshalb: die SG wird (wie schon zu einigen Topspielen in dieser Saison) in die MHP-Arena nach Ludwigsburg ausweichen, auch wenn die beim Handball nur gut 3500 Plätze bietet. Daneben werden auch Spiele in der Bietigheimer Egetrans-Eishalle ausgetragen. Zudem steht der Neubau einer Ballsporthalle in Bietigheim in Raum, deren Genehmigung zuletzt jedoch erneut verschoben wurde. Die würde zudem höchstens 2500 Plätze ausweisen. „Wir brauchen aber auch Trainingsmöglichkeiten“, sagt Stöckle. Die SG hat mehr als 40 Mannschaften im Spielbetrieb.

Bietigheim mausert sich so oder so zur heimlichen Handball-Hauptstadt. Denn neben Göppingen ist es der einzige Standort in Deutschland, der sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen erstklassig ist – und damit im „Handball-Olymp angekommen“ ist, wie es auf den frisch gedruckten T-Shirts am Samstag zu lesen war. In Anlehnung an den Hauptsponsor, den örtlichen Hemdenhersteller, ohne dessen Engagement diese Erfolgsgeschichte kaum möglich gewesen wäre.

 


Schwäbisches Tagblatt
Bietigheim steigt in die 1. Bundesliga auf - Bescheidener Erfolgstrainer

Am vorletzten Spieltag in der 2. Bundesliga verliert Bietigheim gegen Erlangen - und feiert trotzdem mit den Gästen den Aufstieg. Jetzt richtet sich der Blick auf die erste Saison im deutschen Handball-Oberhaus.

Bescheidenheit regiert bei der SG BBM Bietigheim. Selbst am vorletzten Spieltag der 2. Handball-Bundesliga hatte der Tabellenzweite den Aufstiegssekt noch nicht kaltgestellt. So dauerte es nach der 23:29-Niederlage gegen den HC Erlangen eine Weile, bis Bier und Schaumwein in Strömen flossen: "Wir hatten uns eigentlich auf eine Saisonabschlussfeier eingestellt. Aber die wurde dann kurzfristig zur Aufstiegsfeier umfunktioniert", gestand Coach Hartmut Mayerhoffer später. Weil der SC DHfK Leipzig seine Partie gegen Aue verloren hatte, stand der Aufstieg Bietigheims trotz Niederlage gegen Erlangen fest. Und durch den Sieg in der mit 1500 Zuschauern ausverkauften Halle am Viadukt ist auch Erlangen am letzten Spieltag nicht mehr von einem Aufstiegsrang zu verdrängen.

"Es ist unglaublich, was diese Mannschaft geleistet hat", sagte Mayerhoffer auch einen Tag nach der großen Sause noch. Das Wort Mannschaft kommt nicht von ungefähr besonders häufig in Mayerhoffers Wortschatz vor - sie war sein Schlüssel zum Erfolg: "Wenn ich jetzt irgendeinen Spieler heraushebe, werde ich den anderen nicht gerecht", sagte der BBM-Coach, der gleich in seiner ersten Saison in Bietigheim den Aufstieg realisiert hat. Dabei stellte sich der Ausfall von vier Stammkräften für die komplette Rückrunde im Nachhinein sogar fast als Vorteil heraus: "Dadurch ist das Team noch enger zusammengerückt", stellte der 44-Jährige fest.

Jetzt spielt Bietigheim erstmals in der "stärksten Liga der Welt" - und muss sich gleichzeitig von der 60 Jahre alten Halle am Viadukt verabschieden. Der Spielort ist viel zu klein für Gäste wie THW Kiel, Frisch Auf Göppingen und die Rhein-Neckar Löwen. Schon am vergangenen Samstag hätte der Klub doppelt so viele Tickets verkaufen können.

Deshalb spielen die Bietigheimer künftig in der Ludwigsburger MHP-Arena und in der EgeTrans-Arena, der Heimat des Eishockey-Zweitligisten Bietigheim Steelers. Natürlich würde die Spielgemeinschaft gerne all ihre Heimpartien in Bietigheim austragen. Doch dafür müsste in der EgeTrans Arena jede Woche ein Handball-Boden über der Eisfläche verlegt werden. "Der Aufwand ist immens", sagt Mayerhoffer. Der Blick richtet sich trotzdem voller Vorfreude auf die erste Saison im Handball-Oberhaus. Nur zwei Spieler - Thorsten Salzer und Tim Coors - verlassen Bietigheim, dafür stehen schon drei Neuzugänge fest: Kreisläufer Julius Emrich von den Kadetten Schaffhausen, Rückraumsspieler Dominik Schmid vom österreichischen Erstligisten HC Hard und Jonathan Scholz, den Mayerhoffer von seinem Ex-Verein TSV Friedberg nach Württemberg locken konnte. Alles vielversprechende Zugänge, aber keine Stars. Der Star ist die Mannschaft - und soll es bei Bietigheim auch in der 1. Liga bleiben.