Ludwigsburger Kreiszeitung

In Zürn ist der Psychologe gefordert

Bietigheim-Bissingen – Handball-Zweitbundesligist SG BBM Bietigheim hat sich mit sofortiger Wirkung von seinem Trainer Uwe Rahn getrennt. Die Entlassung erfolgte drei Tage vor dem Prestigederby gegen den Rivalen TV Bittenfeld. Bis dahin muss Rahns Nachfolger Jochen Zürn die verunsicherte Mannschaft auf Vordermann bringen.


Es sollte ein rauschendes Handballfest werden, nun wird das mit Spannung erwartete Derby am Freitag (20 Uhr) in der neuen Arena Ludwigsburg zur Nagelprobe für die gesamte Mannschaft – und für deren neuen Coach Jochen Zürn. Der bisherige Co-Trainer soll zumindest bis zum Saisonende das Sagen bei der SG haben, unterstützt wird er von Teammanager Jens Rith.
Die Bietigheimer Handball-Verantwortlichen hatten Uwe Rahn bereits am Dienstagabend über dessen Freistellung informiert. Vollkommen überrascht von dieser Entscheidung verabschiedete sich der Coach, der erst zu Beginn der vergangenen Saison das Ruder bei den Enztälern übernommen und mit ihnen die Saison 2008/2009 auf Anhieb auf dem vierten Platz beendet hatte, von seinem Team. Auch bei den Spielern war die Überraschung über die Kündigung ihres Trainers zu diesem Zeitpunkt riesengroß.
Grund für die Freistellung, so SG-Geschäftsstellenleiter Timo Schön, sei die unbefriedigende sportliche Entwicklung gewesen. Zumindest der letztjährige vierte Tabellenplatz sollte dieses Jahr wieder erreicht werden, mindestens 40 Punkte lautete das interne Mannschaftsziel.
„Das war im Nachhinein sicher eine sehr hohe Messlatte“, räumt Jochen Zürn, der die gute Zusammenarbeit mit Rahn hervorhebt, ein. Vielleicht, so Zürn, sei der Druck von der Vereinsseite, aber auch aus dem Umfeld heraus zu groß gewesen. Dass die Mannschaft gut Handball spielen kann und auch sehr starke Individualisten in ihren Reihen hat, habe sie bewiesen. Nun gelte es, diese Qualität wieder in Konstanz umzusetzen. „Daran müssen wir arbeiten, und da ist jetzt vor allem viel Psychologie gefordert“, so Zürn.
Nach drei Niederlagen in Folge belegt die SG BBM momentan mit 13:17 Punkten Platz 12 – nur drei Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt. Hinzu kommt eine eklatante Heimschwäche, bisher wurden nur zwei Heimspiele gewonnen.
Uwe Rahn hatte sein Team im Vergleich zur Vorsaison vor allem in der Breite verstärkt. Jede Position ist inzwischen doppelt besetzt. Verunsichert waren zuletzt vor allem die Leistungsträger. „Es gilt, unser Selbstvertrauen wiederzufinden, da kommt das Derby am Freitag genau zum richtigen Zeitpunkt“, so Zürn. Die Mannschaft müsse bis in die Haarspitzen motiviert sein, und auch wenn man gegen den Tabellendritten krasser Außenseiter sei, müsse der absolute Erfolgswille im Vordergrund stehen. Die Mannschaft in die Pflicht nehmen und möglichst schnell wieder den Weg nach oben zu finden, das erhofft sich auch Timo Schön von dem Trainerwechsel. „Wir erwarten jetzt eine Reaktion“, so der SG-Geschäftsstellenleiter.


Schnellschuss
Keine drei Monate sind vergangen, da herrschte bei den Handballern der SG BBM Bietigheim noch eitel Sonnenschein. Wenige Tage vor der feierlichen Eröffnung der neuen Arena Ludwigsburg hatte Vorstand Claus Stöckle in den schmucken Sporttempel geladen. Gönner und Sponsoren sollten sich bei kühlem Sekt und warmen Worten vor Ort ein Bild von der Spielstätte machen, die auch einmal feste Heimstatt des Zweitbundesligisten werden könnte.
Auch Spieler, Betreuer und der Cheftrainer höchstpersönlich waren seinerzeit gekommen und standen den VIPs und spendierfreudigen Sponsoren nach hartem Training tapfer Rede und Antwort. Die Gewissheit war groß, dass Uwe Rahn nach dem Erfolg der Premierensaison den „Emporkömmling der Liga“, wie die Bietigheimer von der Konkurrenz bisweilen neidvoll bezeichnet werden, in eine gedeihliche Zukunft führen würde.
Rahn brachte als ehemaliger Handballer, Schulleiter und Vater von sechs Kindern viele Voraussetzungen mit, ein Team zu führen: Geduld, Sachverstand, Erfahrung – und vor allem einen Plan. Langsam, aber nachhaltig wollte er seine Mannschaft verstärken; selbst der Aufstieg in die Bundesliga war für ihn keine Utopie.
Nun hat nicht nur Rahn die Wirklichkeit eingeholt. Drei Niederlagen, und ein gewichtiges Wort einzelner, die noch vor Kurzem breit lächelnd Gelder gaben und Schulter klopften, reichten aus, um den Daumen über ihn zu senken. Selbst wenn sportlich die Wende kommt: Der Eindruck, dass persönliche Eitelkeiten mehr Gewicht fanden als sportliche Kompetenz, bleibt haften. Der Schnellschuss könnte sich auf lange Sicht als fataler Kardinalfehler für die SG entpuppen.


3 Fragen an: Uwe Rahn
Im ersten Jahr seiner Trainertätigkeit bei der SG BBM führte der gelernte Pädagoge die Bietigheimer Handballer auf Platz vier der 2. Liga. Jetzt wurde er fristlos entlassen.

1. Herr Rahn, sind Sie sehr enttäuscht?
Ja. Was mich stört, ist, dass ein Trainer normalerweise dann gehen muss, wenn das Verhältnis zur Mannschaft nicht mehr stimmt. Das war bei uns nicht so. Ich sehe das Ganze als Hyperaktivität einiger aus dem äußeren Umfeld. Denen ist der Erfolg wohl zu Kopf gestiegen.

2. Ließ sich die Vereinsspitze davon beeinflussen?
Ich habe mir nichts vorzuwerfen und habe auch keinen wirklichen Grund für meine Demission gehört.

3. Sie hatten offenbar keine Fürsprecher?
Ich habe immer die Hand schützend über das Team gehalten. Jetzt hätte ich erwartet, dass sich jemand schützend vor mich stellt.


Bietigheimer Zeitung

SG BBM entlässt Coach Rahn
Handball-Zweitligist befördert Co-Trainer Zürn vor dem Duell mit Bittenfeld


Der Handball-Zweitligist SG BBM Bietigheim hat nach drei Pleiten in Folge Trainer Uwe Rahn entlassen. Bis zum Saisonende betreut sein bisheriger Assistent Jochen Zürn die Mannschaft als Chefcoach.

Am Ende ging alles überraschend schnell: Am Samstag kassierten die Bietigheimer Handballer beim 27:30 gegen den Bergischen HC die dritte Niederlage in Folge und die bereits vierte Heimpleite. Am Sonntag und Montag analysierten Vereinschef Claus Stöckle, Teammanager Jens Rith und der SG-Beirat die sportliche Lage und kamen zu dem Ergebnis, dass es besser sei, sich von Uwe Rahn zu trennen. Am Dienstagnachmittag informierte Stöckle den 49-jährigen Trainer telefonisch über seine Freistellung. Dennoch fuhr Rahn abends noch einmal von seinem Wohn- und Arbeitsort Weinheim nach Bietigheim, um sich vor dem Training von den Spielern zu verabschieden und seinem bisherigen Assistenten Jochen Zürn alles Gute zu wünschen. Dieser übernimmt vorerst bis zum Saisonende den Posten des Chefcoachs. Seine Feuertaufe hat Zürn am nächsten Freitag ausgerechnet im Prestigederby gegen den TV Bittenfeld (20 Uhr/Arena Ludwigsburg).

"Die sportliche Situation hinkt den Erwartungen hinterher. Der Verein hat die Gefahr gesehen, noch weiter in den Abstiegskampf zu rutschen", begründet Timo Schön den Trainerwechsel und weist auf die üblichen Gepflogenheiten im Spitzensport hin: "Der Trainer ist das schwächste Glied." Uwe Rahns Verdienste hebt der Geschäftsstellenleiter ausdrücklich hervor. "Er hat sehr gute Arbeit in Bietigheim geleistet. Am vierten Platz aus der vergangenen Saison hat er einen großen Anteil", erklärt Schön.

Überrascht waren die Spieler von der Entwicklung. "Im ersten Moment waren wir geschockt. Es gab keine Diskrepanzen zwischen Trainer und Mannschaft. Der Abschied war sehr emotional", erzählt Spielmacher und Co-Kapitän Nico Kibat, zeigt aber auch Verständnis für den Schritt der Klubführung: "Wir verstehen, dass die sportliche Leitung wegen unserer Situation unter Druck stand und reagieren musste. Die Mannschaft hat die Entscheidung so akzeptiert."

Mit 13:17 Punkten belegt Bietigheim nur den zwölften Rang. Magere drei Zähler beträgt das Polster auf einen Abstiegsplatz. Mit zwei Siegen aus bisher sieben Heimspielen ist die SG das heimschwächste Team der Liga. Dabei war der Verein mit ganz anderen Ansprüchen in die Runde gestartet: In der Vorsaison führte Rahn die Bietigheimer noch auf Platz vier. Mit einigen vielversprechenden Neuzugängen wollte die SG auch dieses Jahr eine gute Rolle spielen. Die Vorbereitung mit dem Triumph beim Turnier in Hongkong, dem Remis gegen Champions-League-Teilnehmer Croatia Zagreb und dem Sieg gegen Bundesligist HBW Balingen-Weilstetten ließ die Erwartungen zusätzlich steigen. Doch im Liga-Alltag rief die Truppe nur selten ihr Potenzial ab.

Nun soll es Rahns bisheriger Assistent Jochen Zürn richten. Am Dienstagnachmittag rief ihn Claus Stöckle an und bot ihm den Cheftrainer-Posten an. Nach einer kurzen Bedenkzeit und Rücksprache mit seiner Frau Heike nahm Zürn die Offerte an. "Ich muss nicht erst bei Null anfangen und habe einen guten Draht zur Mannschaft", sagt der 47-Jährige über den Charme dieser Lösung. Unterstützung erhält er bei der Aufgabe von Teammanager Rith. Gemeinsam mit Rahn war Zürn zur Saison 2008/2009 bei der SG BBM eingestiegen. Zweitliga-Erfahrung bringt er aus seiner Zeit bei der TSG Oßweil und der HG Oftersheim/Schwetzingen mit. "Er genießt das Vertrauen von Verein und Vorstandschaft. Wir sind überzeugt, dass er die Mannschaft voranbringen kann", erklärt Timo Schön.

Info

Zum Heimspiel der SG BBM Bietigheim am Freitag (20 Uhr) in der Ludwigsburger Arena gegen den TV Bittenfeld waren bis gestern 3300 Tickets verkauft. 100 Sitzplatz- und 350 Stehplatzkarten gibt es noch an den Vorverkaufsstellen. Für Fans bietet der Verein ab 18.45 Uhr einen kostenlosen Shuttlebus vom Parkplatz der Firma Mann + Hummel zur Arena und nach dem Spiel ab 21.45 Uhr im Zehnminutentakt wieder zurück.



KOMMENTAR: Vorjahrescoup wird Rahn zum Verhängnis
 
 
Wenn nichts mehr geht, geht der Trainer. Die üblichen Mechanismen bei Misserfolg haben auch bei der SG BBM Bietigheim gegriffen: Coach Uwe Rahn wurde gefeuert. Für die lobenden Abschieds- und Dankesworte kann sich der ausgewiesene Handball-Experte aus Nordbaden nichts kaufen. Seine große Enttäuschung ist verständlich, aber letztlich zählen Resultate - und diese waren zuletzt nicht mehr gut genug.

Gescheitert ist Rahn im Ellental gleichwohl nicht. Schließlich hat er die Mannschaft in der vergangenen Zweitliga-Saison auf Rang vier geführt - die beste Platzierung in der Geschichte des Vereins. Genau dieser Coup ist ihm jetzt zum Verhängnis geworden. Die Erwartungen waren vor dieser Runde immens, zumal die SG BBM wie vom Trainer gewünscht personell aufgerüstet hat. Doch die Erfahrung, dass eine Ansammlung guter Spieler keinen Erfolg garantiert, haben schon viele Klubs gemacht, zuletzt die kickenden Kollegen vom Wasen, die vor einigen Tagen ebenfalls ihren Coach Markus Babbel vor die Tür setzten.

Gerade die vielen Negativerlebnisse in heimischer Halle haben bei Vereinsführung, Sponsoren und Fans der SG BBM für Unmut, Unruhe und Unzufriedenheit gesorgt. Die Verantwortlichen reagierten mit harter Hand, in der Sorge, die Misere könnte gar zum Abstieg führen. Ob Rahns Rauswurf das Team wachrüttelt und der erhoffte Befreiungsschlag gelingt, hängt nun wesentlich von dem neuen starken Mann auf der Bank ab. Jochen Zürn, bisher Assistent, hat die Chance, sich als Chefcoach zu profilieren. Hat er in den nächsten Partien Erfolg und spielt mit Bietigheim eine grandiose Rückrunde, könnte er sogar zu einer Dauerlösung werden. Bleibt die Wende aus, ist er nur ein Auslaufmodell. Die kommenden Wochen werden auf jeden Fall spannend.
 

INTERVIEW: "Ich war mit Herzblut Trainer der Mannschaft"
Schwer enttäuscht ist der am Dienstagnachmittag freigestellte Uwe Rahn (49) über den Rauswurf beim Handball-Zweitligisten SG BBM Bietigheim.
 
 
Herr Rahn, wie haben Sie die Trainer-Entlassung verdaut?

UWE RAHN: Noch gar nicht. Ich war mit Herzblut Trainer dieser Mannschaft, die ja zu 90 Prozent von mir zusammengestellt wurde. Ich habe es als meine Aufgabe angesehen, aus der Mannschaft eine erfolgreiche Truppe zu basteln. Dieses Jahr war intern die Aussage, dass wir die fünf Neuzugänge integrieren wollen und dann ein Team haben, das im nächsten Jahr nur noch punktuell ergänzt werden muss, um höhere Ziele anzuvisieren.

Kam der Schritt des Vereins für Sie überraschend?

RAHN: Ich habe wie jeder andere, der am Bietigheimer Handball interessiert ist, eine gewisse Unzufriedenheit gespürt. Der Unzufriedenste mit der derzeitigen Situation war wahrscheinlich ich selbst, weil ich sehr erfolgshungrig bin. In der vergangenen Saison habe ich es auch geschafft, einen sensationellen vierten Platz zu belegen, trotz eines riesigen Verletzungspechs.

Sind Sie enttäuscht, dass die SG Ihnen das Vertrauen entzogen hat?

RAHN: Ich habe in Bietigheim bewiesen, dass in meiner Arbeit Qualität steckt. Die Entscheidung hat mich erstaunt, da das Verhältnis zur Mannschaft absolut gestimmt hat. Ich denke, auch für die Spieler war die Entscheidung unverständlich, dass man mir nicht das Vertrauen entgegengebracht hat, um den Verein aus der Tabellensituation hinauszumanövrieren.

Was ist für Sie die Hauptursache für das bisher schwache Abschneiden?

RAHN: Es gibt mehrere Ursachen. Personell sind ein paar Dinge zusammengekommen, die ein erfolgreiches Abschneiden hinausgezögert haben. Wir mussten fünf neue Spieler integrieren und hatten Unruhe durch den Abgang von Patrick Rothe. Ich habe Spielern mit Perspektive das Vertrauen gegeben wie Andi Blodig, Christian Schäfer oder Christian Heuberger, auch wenn diese mal schwächere Phasen hatten. Auf der anderen Seite habe ich von Anfang an vor dem unangenehmen Auftaktprogramm gewarnt - mit drei Auswärtsspielen in den ersten vier Spielen und dem ersten Heimspiel gleich gegen Friesenheim, einen der Topfavoriten.

Wie erklären Sie sich die Bietigheimer Heimschwäche?

RAHN: Die Mannschaft ist bei Heimspielen sehr unter Druck gestanden, nicht durch mich oder das innere Umfeld, sondern von außen. Die Spieler haben gemerkt, dass bei den Zuschauern eine sehr hohe Erwartungshaltung herrscht. Auswärts liegen wir dagegen im Soll.

Welche Fehler haben Sie gemacht?

RAHN: Ich bin selbstkritisch. Die Dinge, die zu machen waren, habe ich aber aus meiner Sicht richtig gemacht. Bietigheim hat eine Mannschaft mit Perspektive. Das Team hat ein Angriffskonzept und eine Deckung, die funktioniert. Vielleicht hätte es psychologisch noch Verbesserungsbedarf gegeben. Ob sich der Trainerwechsel positiv auswirkt, wird die Zukunft zeigen.

Trauen Sie Jochen Zürn den Job als Chefcoach zu?

RAHN: Jochen kann auf eine Mannschaft zurückgreifen, die intakt ist. Ich denke, dass er jetzt nicht andere Konzepte spielen lässt, sondern auf das Bestehende aufbaut. Außerdem hat er in Oftersheim ja schon einen Zweitligisten trainiert. Warum sollte es also nicht klappen.

Werden Sie am Freitag im Heimspiel gegen Bittenfeld in der Arena sein?

RAHN: Das weiß ich noch nicht. Ich kann mir schwer vorstellen, am Freitag nicht dabei zu sein. Ich weiß aber nicht, ob ich der Mannschaft einen Gefallen tue, wenn ich auf der Tribüne sitze. Als ich mich verabschiedet habe, ist es einigen Spielern sehr schwer gefallen, mir aus den Augen zu gehen. Das ist nicht nur mir so gegangen.
 

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